DAS BUCH
GESANG DER GESÄNGE

Übersetzt von Martin Buber

 

Der Gesang der Gesänge, der Schlomos ist.

Er tränke mich mit den Küssen seines Mundes!
Ja, gut tut mehr als Wein deine Minne,
gut tut der Duft deiner Öle,
als Öl hat sich dein Name ergossen,
darum lieben dich die Mädchen.

Zieh mich dir nach, laufen wir!
Brächte der König mich in seine Gemächer,
jauchzen wollten wir und uns freuen an dir.
Mehr als Wein rühmen wir deine Minne:
geradeaus liebt man dich.
Schwarz bin und anmutig ich,
Töchter Jerusalems,
wie die Zelte von Kedar, wie die Behänge Schlomos.
Sehet nimmer mich an,
daß ich eine Schwärzliche bin,
drum daß mich die Sonne versengte!
Die Söhne meiner Mutter sind entflammt wider mich.
Sie setzten mich als Hüterin der Wingerte ein,
aber meinen eignen Wingert habe ich nicht gehütet.

Melde mir doch, den meine Seele liebt,
wo doch weidest du,
wo doch lagerst du am Mittag, -
denn warum soll ich wie eine Schmachtende sein
an den Herden deiner Genossen!

- Wenns dir nicht zu wissen getan ist,
Schönste unter den Weibern,
zieh vor dich hin in den Spuren des Kleinviehs,
und weide deine Zicklein um die Wohnstätten der Hirten!

Einer Stute in Pharaos Gefährt
vergleiche, meine Freundin, ich dich,
Anmutig sind deine Wangen in Kettlein,
dein Hals im Muschelngeschling, -
Goldkettlein machen wir dir,
Silberklümplein daran.

- Solang der König an seiner Tafel ist,
gibt meine Narde ihren Duft,
Ein Myrrhenbüschel ist mir mein Minner,
es weilt mir zwischen den Brüsten,
eine Zypertraube ist mir mein Minner,
in Engedis Wingertgeländ.

- Da, schön bist du, meine Freundin,
da, schön bist du, deine Augen sind Tauben.

- Da, schön bist du, mein Minner, gar hold,
- Frisch gar ist unser Bett,
das Gebälk unsres Hauses sind Zedern,
unsre Sparren sind Wacholder.

- Ich bin das Narzisslein des Scharon,
die Lilie der Tiefebenen.

- Wie eine Lilie unter den Dornen,
so ist meine Freundin unter den Töchtern.

- Wie ein Apfelbaum unter dem Waldgehölz,
so ist mein Minner unter den Söhnen.
Nach seinem Schatten begehre ich, sitze nieder,
und süß ist seine Frucht meinem Gaum.
Er hat ins Haus des Weins mich gebracht,
und über mir ist sein Banner, Liebe.
Stärket mich mit Rosinengepreß,
erquickest mich mit Äpfeln,
denn ich bin krank vor Liebe.

Seine Linke ist mir unterm Haupt,
und seine Rechte kost mich. -

Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems,
bei den Gazellen oder bei den Hinden der Flur:
störtet, aufstörtet ihr die Liebe,
bis ihrs gefällt,....!

Hall meines Minners!
Da, eben kommt er!
hüpft über die Berge,
springt über die Hügel!
Mein Minner gleicht der Gazelle
oder dem Hirschböcklein.
Da, eben steht er
hinter unserer Mauer,
lugt durch die Fenster,
guckt durch die Gitter.

Mein Minner hebt an,
er spricht zu mir:
»Mach dich auf,
meine Freundin,
meine Schöne,
und geh vor dich hin!

Denn da, vorbei ist der Winter,
der Regen schwand, er verging,
die Blüten lassen im Lande sich sehn,
angelangt ist die Zeit des Liedes,
der Stimmhall der Turtel läßt in unserm Lande sich hören,
die Feige färbt ihre Knoten,
die Reben, knospend, geben Duft, -
mach dich auf zum Gehn,
meine Freundin, meine Schöne,
und geh vor dich hin!«

- Meine Taube in den Felsenschlüften,
im Verstecke des Steigs,
laß mich dein Angesicht sehn,
laß mich deine Stimme hören,
denn süß ist deine Stimme,
anmutig ist dein Gesicht.

- Fangt uns die Füchse,
die kleinen Füchse,
Wingerte verderben sie,
und unsre Wingerte knospen!

- Mein Minner ist mein,
und ich bin sein,
der unter Lilien weidet.
Solang der Tag im Verwehn ist
und die Schatten weichen,
wende dich herzu,
gleiche du, mein Minner,
der Gazelle oder dein Hirschböcklein
über die Berge der Trennung hin!
Auf meiner Ruhestatt
in den Nächten
suche ich ihn,
den meine Seele liebt,
suche ich ihn
und finde ihn nicht.
Aufmachen will ich mich doch
und die Stadt durchziehn,
über die Plätze, über die Gassen,
suchen, den meine Seele liebt!

Ich suchte ihn
und ich fand ihn nicht.
Mich fanden die Wächter,
die in der Stadt einherziehn -
»Den meine Seele liebt,
saht ihr ihn ?«

Kaum war ich an ihnen vorbei,
da fand ich,
den meine Seele liebt.
Ich faßte ihn an
und ließ ihn nicht los,
bis daß ich ihn brachte
ins Haus meiner Mutter,
in die Kammer meiner Gebärerin.

Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems,
bei den Gazellen oder bei den Hinden der Flur:
störtet, aufstörtet ihr die Liebe, bis ihrs gefällt, ...!

- Was ist dies,
heransteigend von der Wüste
Rauchsäulen gleich,
umdampft von Myrrhe und Weihrauch,
von allem Pulver des Krämers?
Da, sein Tragbett, das Schlomos,
sechzig Helden rings um es her,
von den Helden Jisraels,
Schwertträger sie alle,
Kampfgeübte,
jedermann an seiner Hüfte sein Schwert,
wegen des Schreckens in den Nächten.

Eine Sänfte machte sich der König Schlomo
aus Hölzern des Libanon,
ihre Ständer machte er silbern,
ihre Lehne golden,
ihren Sitz purpurn,
ihr Inwendiges eingelegt,
Liebesarbeit von den Töchtern Jerusalems.
Geht heran,
seht herzu,
Töchter Zions,
auf den König Schlomo in der Krone,
damit seine Mutter ihn krönte
am Tag seiner Vermählung,
am Tag seiner Herzensfreude.

-Da, du bist schön,
meine Freundin,
du bist schön.
Deine Augen sind Tauben,
hinter deinem Schleier hervor,
dein Haar ist wie eine Herde von Ziegen,
die vom Gebirge Gilad wallen,
deine Zähne sind wie eine Herde von Schurschafen,
die aus der Schwemme steigen,
die alle zwieträchtig sind,
fehlwürfig keins unter ihnen.
Wie eine Karmesinschnur sind deine Lippen
und anmutig dein Redegerät.

Wie ein Riß der Granatfrucht ist deine Schläfe,
hinter deinem Schleier hervor.
Wie Dawids Turm ist dein Hals,
für Umreihungen ist der gebaut,
das Tausend der Schilde hängt dran,
alle Rüstung der Helden.

Deine zwei Brüste sind wie zwei Kitzlein,
Zwillinge einer Gazelle,
die unter Lilien weiden.
Solang der Tag im Verwehn ist
und die Schatten weichen,
gehe ich zum Myrrhenberg,
zum Weihrauchhügel.

Schön bist du, meine Freundin, allsamt,
kein Flecken an dir.
Mit mir vom Libanon, Braut,
mit mir vom Libanon komm,
schau nieder vom Haupt des Amana,
vom Haupt des Schnir und des Chermon,
von den Gehegen der Löwen, von den Bergen der Pardel!

Du hast mir das Herz versehrt,
meine Schwester-Braut,
du hast mir das Herz versehrt
mit einem deiner Augen,
mit einer Drehung deines Halsgeschmeids.

Wie schön ist deine Minne, meine Schwester-Braut,
wie gut tut deine Minne, mehr als Wein
und der Duft deiner Öle als alle Balsame!
Seim träufen deine Lippen, Braut,
Honig und Milch sind unter deiner Zunge,
der Duft deiner Tücher ist wie des Libanon Duft.

Ein verriegelter Garten ist meine Schwester-Braut,
ein verriegelter Born,
ein versiegelter Quell.
Was dir sich entrankt,
ein Granatenhain ists
mit köstlicher Frucht,
Zyperblumen mit Narden,
Narde, Aloe, Kalmus und Zimt
mit allem Auszug der Balsame.

Ein Gartenquell ists,
ein Brunnen lebendigen Wassers,
rieselnd vom Libanon her.
Erwache, Nord,
komm, Süd,
wehe durch meinen Garten,
daß seine Balsame rieseln!
In seinen Garten komme mein Minner
und esse von seiner köstlichen Frucht.

- ich komme zu meinem Garten,
meine Schwester-Braut,
ich pflücke meine Myrrhe mit meinein Balsam,
ich esse meine Wabe mit meinem Honig,
ich trinke meinen Wein mit meiner Milch.
Esset, Freunde, trinket, und berauschet euch an der Minne!

- Ich schlafe,
und mein Herz wacht.
Hall meines Minners!
Er pocht.
»Öffne mir,
meine Schwester, meine Freundin,
meine Taube, meine Heile,
da mein Haupt voller Tau ist,
meine Locken voller Tröpfen der Nacht.
« Ich habe meinen Rock abgestreift,
wie doch soll ich ihn wieder antun!
Ich habe meine Füße gebadet,
wie doch soll ich sie wieder beschmutzen!

Mein Minner streckt die Hand durch die Luke,
und mein Leib wallt auf ihn zu.
Ich mache mich auf,
meinem Minner zu öffnen, -
meine Hände triefen von Myrrhe,
meine Finger von Myrrhenharz
am Griffe des Riegels.

Ich öffne, ich meinem Minner, -
mein Minner ist abgebogen, hinweg.
Meine Seele geht aus,
seiner Rede nach,
ich suche ihn, nicht finde ich ihn,
ich rufe ihn, nicht entgegnet er mir.
Mich finden die Wächter,
die in der Stadt einherziehn,
sie schlagen mich, verwunden mich,
meinen Burnus heben sie mir ab,
die Wächter der Mauern.

- »Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems,
findet ihr meinen Minner,
was wollt ihr ihm melden?
Daß ich krank vor Liebe bin.«

-»Was ist dein Minner mehr als irgendein Minner,
Schönste unter den Weibern,
was ist dein Minner mehr als irgendein Minner,
daß du so, so uns beschwörst?«

- »Mein Minner ist blank und rötlich,
ragend aus einer Myriade,
sein Haupt gediegenes Feinerz,
seine Locken Dattelrispen,
schwarz wie der Rabe,
seine Augen wie Tauben
an Wasserbächen,
in Milch gebadet,
am Gefüllten ruhend,
seine Wangen wie Balsambeete,
die Würzkräuter wachsen lassen,
seine Lippen Lilien,
von Myrrhenharz triefend,
seine Hände goldene Walzen,
von Chalzedonen umfüllt,
sein Leib eine Elfenbeinplatte,
mit Saphiren besteckt,
seine Schenkel Alabasterständer,
auf Feinerzsockel gegründet,
sein Ansehn wie des Libanonbaums,
auserlesen wie Zedern,
sein Gaum Süßigkeiten,
und allsamt ist er Wonnen.

Dies ist mein Minner,
dies ist mein Freund,
Töchter Jerusalems!«

- »Wohin, ist dein Minner gegangen,
Schönste unter den Weibern,
wohin hat sich dein Minner gewandt?
wir wollen mit dir ihn suchen.«

-»Mein Minner steigt zu seinem Garten hinab,
zu den Balsambeeten,
in den Gartengründen zu weiden,
Lilien zu lesen.
Ich bin meines Minners,
mein Minner ist mein,
der unter Lilien weidet.«

- Schön bist du, meine Freundin,
wie Tirza, die »Gnadenstadt«,
anmutig wie Jerusalem,
furchtbar wie sie, die Fahnenumschwungnen.
Kehre von mir ab deine Augen,
drum daß sie mich verwirren!

Dein Haar ist wie eine Herde von Ziegen,
die vom Gilad wallen,
deine Zähne wie eine Herde von Schafen,
die aus der Schwemme steigen,
die alle zwieträchtig sind,
fehlwürfig keins unter ihnen.

Wie ein Riß der Granatfrucht ist deine Wange,
hinter deinem Schleier hervor.
Sechzig sinds der Königinnen,
achtzig der Kebsen,
und Mädchen ohne Zahl, -

eine einzige ist meine Taube,
meine Heile,
eine einzige ist sie bei ihrer Mutter,
eine Erkorne bei ihrer Gebärerin.

Die Töchter sehn sie, und heißen sie beglückt,
die Königinnen und Kebsen, und preisen sie.

- Wer ist diese,
die vorglänzt wie das Morgenrot,
schön wie der Mond,
lauter wie der Glutball,
furchtbar wie die Fahnenumschwungnen?

- Zu meinem Nußgarten stieg ich hinab,
die Triebe im Tal zu besehn,
zu sehn, ob die Rebe treibt,
ob die Granaten erblühn,
da - ich keine meine Seele nicht mehr -
versetzt michs ins Gefährt
meines Gesellen, des edlen.

- Dreh dich, dreh dich,
Schulamitin,
dreh dich, dreh dich,
daß wir dich beschaun!

- Was wollt ihr an der Schulamitin beschaun?
- Etwas, das dem Reigen des Doppellagers gleicht!
Wie schön sind deine Tritte in den Schuhn,
Tochter des Edlen!
Die Biegungen deiner Hüften
sind gleichwie Spangen,
Werk der Hände eines Meisters.
Dein Schoß ist eine Rundschale, -
nimmer ermangle sie des Mischtranks!
Dein Bauch ist ein Weizenhaufen,
von Lilien umsteckt.
Deine zwei Brüste sind wie zwei Kitzlein,
Zwillinge einer Gazelle.
Dein Hals ist wie ein Elfenbeinturm.
Deine Augen sind die Teiche in Cheschbon
am Tore von Bat-rabbim.
Deine Nase ist wie der Libanonturm,
der nach Damaskus hin späht.
Dein Haupt auf dir ist wie der Karmel,
die Flechten deines Hauptes wie Purpur, -
ein König verstrickt sich in den Ringeln.

- Wie schön und wie mild bist du,
Liebe, im Genießen!
Dieser Wuchs dein ähnelt der Palme
und deine Brüste den Trauben.
Ich habe zu mir gesprochen:
Ersteigen will ich die Palme,
greifen will ich ihre Rispen,
daß doch deine Brüste seien wie Trauben des Rebstocks
und deines Nasenatems Duft wie von Äpfeln
und dein Gaum wie der gute Wein...
- ...der gradaus in meinen Minner eingeht,
- ...noch im Schlaf macht er die Lippen sich regen.

- Ich bin meines Minners,
nach mir ist sein Begehren.
Geh heran, nein Minner,
ziehn wir ins Feld hinaus,
nachten wir an den Dörfern,
besuchen die Wingerte wir in der Frühe,
besehn wir,
ob der Rebstock treibt,
ob die Knospe sich öffnet,
ob die Granaten erblühn; -
dort will ich meine Minne dir geben.
Die Minnebeeren geben Duft aus,
an unsern Türen sind allerhand Köstlichkeiten,
neue, auch alte,
für dich, mein Minner, habe ich sie aufgespart.

Wer gibt dich mir als Bruder,
der an meiner Mutter Brüsten sog!
Fände ich dich auf der Gasse, ich küßte dich
und sie dürften mein doch nicht spotten,
ich führte dich,
ich brächte dich
in meiner Mutter Haus,
du müßtest mich lehren,
mit Würzwein tränkte ich dich,
mit Granatenmost. -

Seine Linke mir unterm Haupt,
und seine Rechte kost mich.
ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems,
störtet, aufstörtet ihr die Liebe,
bis ihrs gefällt,

- Wer ist diese,
heransteigend von der Wüste,
an ihren Minner gelehnt?

- Unter dem Apfelbaum
habe ich dich aufgestört,
eben dort kam in Wehn mit dir deine Mutter,
eben dort lag in Wehn deine Gebärerin.

Setze mich wie ein Siegel
dir auf das Herz,
wie einen Siegelreif dir um den Arm,
denn gewaltsam wie der Tod ist die Liebe,
hart wie das Gruftreich das Eifern,
ihre Flitze Feuerflitze, -
eine Lohe oh von Ihm her!
Die vielen Wasser vermögen nicht die Liebe zu löschen,
die Ströme können sie nicht überfluten.
Gäbe ein Mann allen Schatz seines Hauses um die Liebe,
man spottete, spottete sein.

- »Unser ist eine Schwester, eine kleine,
sie hat noch keine Brüste, -
was wollen mit unsrer Schwester wir tun
am Tag, da man um sie redet?«

- »Ist sie eine Mauer,
baun eine Silberzinne wir drauf,
und ist sie eine Pforte,
rammeln eine Zedernplanke wir dran.«

- Nun ich eine Mauer bin,
meine Brüste Türmen gleich,
so ward ich in seinen Augen
wie eine, die Befriedung fand.

- Einen Wingert hatte Schlomo in Baal-Hamon,
er übergab den Wingert den Hütern, -
jedermann brächte für seine Frucht tausend Vollgewicht Silbers herbei.
Den Wingert, der mir eignet, habe ich mir vom Antlitz, -
dein, Schlomo, seien die tausend
und der Fruchthüter zweihundert.«

- Die du in den Gärten verweilst,
Gefährten lauschen deiner Stimme,
lasse mich hören!
- Flieh herzu, mein Minner,
gleiche du der Gazelle
oder dem Hirschböcklein -
über die Berge der Balsame!

 

 

Literatur: Die Schriftwerke. Verdeutscht von Martin Buber.
Die fünf Rollen (darin: Der Gesang der Gesänge).
Köln & Olten Verlegt bei Jakob Hegner

 

HOME